Objektive der Zukunft:
Flach, flüssig - oder ganz anders?
Computertechnik wird immer kleiner – und gleichzeitig immer leistungsstärker. Internet of Things (IoT) ist das Schlagwort und ohne Imagingtechnologien nicht denkbar. Aktuell setzt die Physik der Miniaturisierung von Kameraobjektiven noch enge Grenzen. Der Bedarf gerade an Mini-Kameras mit hoher Bildqualität in der Medizintechnik, dem Smart Home, der Robotik oder beispielsweise der Fabrikautomatisierung ist groß. Daher sind Forschergruppen und Hersteller dabei, die Bauweise von Objektiven neu zu erfinden. Davon dürften langfristig auch Amateur- und Profifotografen profitieren. „Mithilfe neuer Materialien und Technologien könnten neue Objektivkonstruktionen die Fotografie, wie wir sie heute kennen, komplett revolutionieren“, erklärt Christian Müller-Rieker, Geschäftsführer des Photoindustrie-Verband e.V. (PIV).
Warum wir überhaupt mit Objektiven fotografieren
Dank digitaler Kameras voller Mikroelektronik können Fotografen heute so bequem und kreativ Bilder festhalten wie nie zuvor. Ohne eine analoge Erfindung aus dem 18. Jahrhundert wäre die Freude deutlich kleiner. Fotos entstehen durch Licht und das will dafür gebändigt werden. An dem Prinzip, Licht kontrolliert durch einen Linsen-Korridor aus Glas zu navigieren, hat sich bis heute nichts geändert. In richtigem Abstand zueinander angeordnet, ermöglichen erst speziell geschliffene Linsen den Bildausschnitt und die Schärfeebene zu definieren. Ohne ein derartiges optisches System würde ein Foto mit aktueller handelsüblicher Technik nur aus unkenntlichem „Bildmatsch“ bestehen.
Warum Ingenieure aktuelle Objektive nicht einfach etwas kleiner bauen
Dass ein Zoomobjektiv viele Vergrößerungslinsen braucht, um mehr Brennweiten abzudecken, ist einleuchtend. Doch es gibt weitere Gründe, warum ein gutes Objektiv jede Menge speziell geschliffene Linsen enthält, die entsprechend viel Raum einnehmen. So müssen Linsen gekrümmt und in mehreren Paaren angeordnet sein. Nur dann verhindern sie, dass physikalisch bedingte Lichtreflexionen oder Farbstiche das Bild beeinträchtigen.
Objektive neu gedacht
Dennoch tüfteln Entwickler daran, die Evolution von Objektiven in eine Revolution zu verwandeln. Dazu experimentieren sie mit neuen Materialien, Formfaktoren und Aufnahmesystemen. Ein Überblick über ausgewählte Forschungsansätze.
Neue Materialien: Bestehen Linsen aus Glas, müssen sie gekrümmt sein, um das Licht im richtigen Winkel und mit der richtigen Geschwindigkeit auf den Sensor treffen zu lassen. Plane Glaslinsen sparen Platz, produzierten bisher aber Abbildungsfehler. Forschern des California Institute of Technology (Caltech) ist es nun gelungen, flache Mikrolinsen ohne Einbußen bei Abbildungsleistung zu entwickeln. Sie bestehen nicht aus einer Glasschicht, sondern aus Millionen Nanometerkleiner Siliziumzylinder. Diese ganz besondere Oberflächenstruktur sorgt dafür, dass die Linsen Licht viel besser leiten als Glas. Daraus könnten Objektive entstehen, die so hochwertig sind, dass sie auch in Mikroskopen und anderen medizintechnischen Bereichen eingesetzt werden können, wo es noch mehr auf Präzision ankommt.
Ein anderer Ansatz beschäftigt sich damit, „Flüssiglinsen“ zu konstruieren, deren Inneres aus Wasser und Öl besteht. Ihr Vorteil: Um zu fokussieren, lassen sie sich mit elektrischen Impulsen dehnen und zusammenziehen. Der Platzbedarf von mechanischen Fokussiersystemen, wie bei herkömmlichen Linsen, würde entfallen. Derartige Objektivkonstruktionen sind zum Beispiel für die industrielle Bildverarbeitung interessant, wo wegen des hohen Durchsatzes, sehr schnell fokussiert werden muss.
Neue Herstellverfahren: Produkte aus dem 3D-Drucker bergen in vielen Industrien neue Chancen. Das gilt auch für die Imagingbranche. Würden optische Elemente gedruckt und nicht geschliffen, ließen sich viel kleinere Baugrößen realisieren. Wie das funktionieren kann, haben Physiker der Universität Stuttgart demonstriert. Sie haben mit einem 3D-Drucker aus flüssigem Fotolack optische Linsen hergestellt, die kaum größer als ein menschliches Haar sind. Sie ließen sich auch direkt auf einen CMOS-Bildsensor drucken. Damit könnten zum Beispiel Kameras gebaut werden, die nicht größer als eine Biene sind. Das ist zum Beispiel für hochauflösende Aufnahmen mit Drohnen interessant.
Neue Aufnahmesysteme: Wozu überhaupt noch ein Objektiv verwenden, fragen sich andere Forscherteams und tüfteln an Aufnahmeeinheiten, die ohne optische Systeme auskommen. Die Technologiekonzerne Rambus und Hitachi haben unabhängig voneinander solche Kamerasysteme angekündigt. Bei diesem Ansatz befindet sich vor dem Bildsensor eine sehr dünne Schicht, die mit einem Kreis- oder Spiralmuster bedruckt ist. Je nachdem wie das Licht auf die Kreise fällt, berechnet Computertechnik dahinter die Belichtung und die Fokusinformationen. Dafür setzen die Entwickler auf die immense Rechenkraft, über die inzwischen selbst kleine Kamerasysteme verfügen. Weil hier mehr Elektronik als Optik im Spiel ist, sprechen Fachleute auch von „Computational Photography“. Davon könnten viele Bereiche profitieren: selbstfahrende Autos, autonome Robotern und Maschinen der Industrie 4.0.
Evolution in der aktuellen Objektivgeneration
Die genannten Projekte bewegen sich im Bereich der Grundlagenforschung und zeigen auf, welche Technologie die Imagingwelt in Zukunft bereichern könnte. Natürlich optimieren die Hersteller ihre Objektive auch jetzt schon kontinuierlich. „Dadurch können Anwender von in vielerlei Hinsicht besseren Objektiven profitieren, ohne dass sich ihr Volumen und Gewicht in gleichem Maße vergrößert hat“, betont PIV Geschäftsführer Christian Müller-Rieker.
So haben die Hersteller mithilfe der Nanowissenschaften die Entspiegelung von optischen Linsen verbessert, was für viel kontrastreichere und schärfere Bilder sorgt. Mit sehr dünnen mehrlagigen Metallschichten im Nanometerbereich bedampft, verursachen die Glaslinsen deutlich weniger Reflexionen und damit auch weniger Effekte, die das Bild stören. Zudem machen sich die Ingenieure die hohe Rechenleistung aktueller Kameras zunutze, so dass Abbildungsfehler elektronisch im Bildprozessor korrigiert werden und nicht auf optischem Weg durch das Objektiv selbst. Auch dies sorgt für kompaktere Bauweisen.
„Durch diese kontinuierlichen Verbesserungen in den Materialwissenschaften und der elektronischen Bildverarbeitung erleben Fotografen und Filmer, die sich für ein Modell aus der aktuellen Objektivgeneration entscheiden, eine optische Bildqualität, von der Anwender vor wenigen Jahren nur träumen konnten“, sagt PIV Geschäftsführer Christian Müller-Rieker.